Ich klettere seit etwa 1997, als ich zum ersten Mal in einem Ebola-Projekt unter der Schirmherrschaft der WHO im Regenwald der Côte d'Ivoire (Parc national de Taï) Kronenstege und Arbeitsplattformen in bis zu 45 Metern Höhe für wissenschaftliche Untersuchungen nutzen konnte. Damals stammten Techniken und Ausrüstung noch aus dem Bereich des alpinen Kletterns beziehungsweise Höhlenkletterns kombiniert mit Methoden des Seileinbaus in der Kronenschicht der tropischen Baumriesen vom Boden aus mithilfe von Schleudern, Angelblei, Angelsehnen, Reepschnüren, u.v.a. Somit verwendete ich aus heutiger Sicht einige Techniken der seilunterstützten Baumklettertechnik (oder auch Seilklettertechnik, kurz: SKT), wie sie in der Forstwirtschaft und Baumpflege eingesetzt werden, sowie Techniken der Seilzugangstechnik (SZT), wie sie beim Industrieklettern verbreitet sind.
Seither hat sich viel verändert und mit den neuen Möglichkeiten sind auch die Anforderungen an die Sicherungsmaßnahmen - gerade im beruflichen Umfeld - konkreter geworden und deutlich gestiegen.
Man spricht heute im Bereich des professionellen Industriekletterns von Seilzugangstechnik oder auch Seilzugangs- und Positionierungstechnik (kurz: SZP, engl.: rope access). Damit ist ein Zugangsverfahren gemeint, mit dem zum Beispiel hoch gelegene oder schwer zugängliche Einsatzorte, wie Kirchtürme, Steinbrüche, Gebäudefassaden oder Dächer, erreicht werden können. Das Verfahren eignet sich aber auch für Arbeiten in der Tiefe, wie zum Beispiel Brunnen, Schächte oder bestimmte Höhlenstrukturen.
Seilzugangs- und Positionierungstechnik ist meist wesentlich flexibler und kostengünstiger als der Einsatz von Gerüsten, Hubsteigern oder ähnlichem, die bei verschachtelten Bauweisen von Gebäuden oder großen Höhen schnell an ihre Grenzen stoßen.
Wichtigster Grundsatz der Seilzugangstechnik ist die Verwendung eines redundanten Systems: Das bedeutet, dass der Höhenarbeiter oder Industriekletterer immer mit zwei getrennten Sicherungssystemen beziehungsweise mit zwei Seilen arbeitet. Das sogenannte Tragseil (TS) wird planmäßig belastet und dient dem Aufstieg oder Abstieg am Seil oder auch der Positionierung des Höhenarbeiters am Höhenarbeitsplatz. Das Sicherungsseil (SiS) dient ausschließlich der Sicherung des Höhenarbeiters und muss ihn im Notfall sicher auffangen können.
Eine weitere, sicherheitsrelevante "Redundanz" ist der verpflichtende Einsatz eines zweiten Kletterers, der im Notfall in der Lage ist, seinen Kollegen / seine Kollegin aus dem Seil zu retten und auf den Boden zurück zu bringen (Technische Rettung), da vielerorts die Rettungskräfte noch nicht über eine Spezial-Einheit für die Spezielle Rettung aus Höhen und Tiefen (SRHT) verfügen.
Darüber hinaus muss im Falle eines Höhenarbeiter-Unfalls unmittelbar mit der technischen Rettung begonnen werden, da allein
durch das Hängen im Arbeitsgurt bereits nach kurzer Zeit die Gefahr eines Hängetraumas (orthostatischer Schock) besteht und damit ein lebensbedrohlicher Zustand eintreten
kann, den nur ein geschulter Höhenarbeiter oder Höhenretter durch eine zügig durchgeführte technische Rettung verhindern kann.
In der Ausbildung der Seilzugangs- und Positionierungstechnik (SZP) gibt es drei Stufen: Beginnend mit - vereinfacht gesagt - Level 1 für Arbeiten vom vertikalen Seil aus, Level 2 für Arbeiten mithilfe von horizontalen Seilstrecken und Level 3 für Schrägseiltechniken, Aufsichtsführen eines Höhenarbeiter-Einsatzes und vieles mehr.
Für jeden Einsatz erforderlich sind mindestens 2 Höhenarbeiter mit SZP-Ausbildung, von denen mindestens einer mit SZP Level 3 zertifiziert sein muss. Bereits SZP Level 1 beinhaltet die Fähigkeit zur Technischen Rettung eines verunfallten Höhenarbeiters (Industriekletterers oder PSAgA-Anwenders).
Dies alles erfordert komplexe Abläufe, die in der SZP-Ausbildung intensiv geschult, geprüft und zertifiziert werden müssen, um die Sicherheit der Höhenarbeiter zu gewährleisten. Die Ausrüstung der Höhenarbeiter (für die PSAgA und die SZP) unterliegt ebenfalls der Zertifizierung und jährlichen Prüfung.
Hintergrundwissen zu Abläufen, gesetzlichen Regelungen, etc. vermittelt der FISAT – Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken e.V.
(externe links):
www.fisat.de/fisat/seilzugangstechnik/
www.fisat.de/fisat/zertifizierung/